Ich schließe unsere WG-Wohnungstür, wende mich meinem Mitbewohner zu und verdrehe die Augen. Auch er schüttelt den Kopf und sagt energisch und bestimmt: „Nein!“ Wenigstens sind wir uns einig, denke ich bei mir und streiche den Namen des Studenten von der Liste. Dies war nun der 25ste potentielle WG-Suchenden, der sich in den letzten 72 Stunden bei uns vorgestellt hat. Ich bin müde und erschöpft. So viele oberflächliche Fragen habe ich schon lange nicht mehr mir vollkommen fremden Menschen stellen müssen. Gehst du viel feiern? Fährst du am Wochenende oft nach Hause? Muss man dir das Putzen erst beibringen? Kannst du irgendetwas Nützliches mitbringen?
In den letzten Jahren wuchs die Auswahl an möglichen Mitbewohnern, die eine WG gesucht haben, ins Unermessliche. Die Wohnungs- bzw. Zimmernot ist so groß wie noch nie und auch dieses Jahr suchen wieder tausende Studenten verzweifelt nach einer passablen Bleibe. Während wir, die ein Zimmer anbieten, die Qual der Wahl haben, geht es bei den Suchenden um existenzielle Nöte. Da wird schnell mal das eigene Auto zur Notunterkunft umfunktioniert und die Unitoilette als Waschgelegenheit genutzt. Wie auch schon in den letzten Jahren macht sich der doppelte Abiturjahrgang mehr als bemerkbar und dieses Jahr kommt es ganz dick: das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen schickt seine Abiturienten mit ins Rennen um die heiß begehrten und viel zu wenigen WG-Zimmer oder günstigen Kleinstwohnungen unseres Landes. Auch der Wegfall des Zivil- und Wehrdienstes sorgt bei der Wohnungssuche nicht für Entspannung.
WG Suche und Erfahrungen
Uns wurde in den letzten Tagen von Gemeinschaftstoiletten in WGs berichtet, die man sich mit zwölf Studenten teilen muss und die dabei nur einmal wöchentlich gereinigt werden. Von schimmelnden Zimmerecken und Treppenhäusern, in denen nachts Obdachlose schlafen. Von WG-Wohnungen, die auch heute noch ausschließlich mit Kohleöfen beheizt werden, und welchen ohne Badezimmer, dafür aber mit Duschkabine in der Küche oder auf dem Flur. Fliegen hätten auf unseren Zungen nisten können, während wir diesen Schauergeschichten an unserem Küchentisch lauschten und die Personen, die vor uns saßen, sich während ihrer Erzählungen nicht zwischen Tränen oder einem leicht hysterischen Kichern entscheiden konnten. Die Not einiger Studenten hing so spürbar in der Luft, dass so manches Gespräch nicht spurlos an uns vorbei ging und wir uns wünschten, dass wir Mitleidszimmer zu vergeben hätten. Einige boten uns an, Dinge wie zum Beispiel ihr Auto zur freien Verfügung nutzen zu können oder aber im Sommer die Ferienwohnung der Eltern in Beschlag nehmen zu dürfen. Das waren natürlich verlockende Angebote, aber keinesfalls ein Kriterium für die Wahl des neuen WG-Mitbewohners.
Da das Problem nun schon seit Jahren besteht, haben mittlerweile auch die Städte und Kommunen reagiert, in dem sie Turnhallen oder Gemeindesäle als Notunterkünfte zur Verfügung stellen, wenn man pünktlich zum Semesterbeginn noch kein WG-Zimmerchen gefunden hat. Selbstverständlich jedoch kann dies kein Dauerzustand sein und so werben sie auch zunehmend bei Privatpersonen damit, einen Studenten bei sich zuhause aufzunehmen, wenn ein freies Zimmer zur Verfügung steht – natürlich gegen einen angemessenen Mietpreis und Familienanschluss inklusive. Für Studenten, die nicht groß auf Partys aus sind und es generell etwas ruhiger mögen, besteht zudem in einigen Städten die Möglichkeit sich in einem freien Zimmer eines Altenheims einzunisten. Die einzige Lärmbelästigung, die man hier zu ertragen hätte, wäre der zu laut eingestellte Fernseher des Zimmernachbarn.
Für die meisten WG suchenden Studenten jedoch geht mit dem Beginn des Studiums auch das Wohnen in der perfekten WG einher und wer nicht gerade eine reine Zweck-WG gesucht hat, in der Hallo und Tschüss die einzigen Worte sind, die man miteinander wechselt, muss mit Persönlichkeit überzeugen. Die eigene Persönlichkeit jedoch in ein meist nicht mehr als dreißigminütiges Gespräch zu pressen, während dem man eh schon unter Druck steht, weil man weiß, wie viel von der Entscheidung der (hoffentlich) zukünftigen WG-Mitbewohner abhängt, fällt – wenn wir einmal ehrlich sind – doch keinem von uns leicht.
Wir haben nach über 40 Vorstellungen letztendlich einen passenden Mitbewohner gefunden, der nicht versucht hat, uns mit seinem Auto oder sonstigem Schnickschnack zu bestechen. Er glänzte mit Natürlichkeit und einem ziemlich feuchten Händedruck. Er hat die WG gefunden, die er gesucht hat.
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